ZaunköniG                           Neue Märkte

* 1972                                                    oder wie man aus der Not eine Tugend macht

© beim Autor                                     

 

Es war auf der Entwicklerkonferenz:

Als ich die Kohlensäure sprudeln seh'

im Tafelwasser, kommt mir die Idee;

bestechend Markt- und Klimaeffizienz.

 

Betrachten wir, was bisher nur verpufft

als Rohstoff. - Dieser Vorschlag hat Genie!

Wir wär'n die Avantgarde der Industrie,

die Vorreiter zur Reinhaltung der Luft.

 

...was auch konkret, was in die Kasse brächte:

wir bräuchten keine Fremdverschmutzungsrechte.

Im Kleinen testen wir die Akzeptanz:

Ein Freigetränk für unsre Selbstabholer.

Als Umweltengel stünden wir im Glanz

und jeder Reifen wirbt für Conti-Cola.

 

 

 

 

 

ZaunköniG                           Niki de Saint Phalle

* 1972                                                    Die Braut auf dem Pferd

© beim Autor                                     

 

Im Damensitz hält sich die Braut geschlossen,

ihr Pferd bereit im blumigen Ornat.

Ein Fabeltier, von zartem Tyll umflossen,

verlockt, doch wenn man sich der Mähre naht

 

zerfällt die Illusion in Tod und Trug.

Noch treibt sie ihr naives Spiel voran,

das nur im Wandel überdauern kann.

Ihr Himmelsritt gleicht einem Geisterflug.

 

Aus Totenschädeln, Spielzeug, Gips und Pappe

formt sich der Fortschritt, kenntlich wird der Rappe

mit etwas abstand. Sie hat gut gewählt,

denn Zukunft ist nur dort, wo wir sie wagen.

Sie läßt sich durch ihr Leiden vorwärtstragen,

allzeit dem Leben und dem Tod vermählt.

 

 

 

 

 

ZaunköniG                           Auguste Rodin

* 1972                                      

© beim Autor                                      Eva

 

 


Allmählich hat ihr Ahnen sich verdichtet

zur Erkenntnis; und sie wog schon schwer,

auf ihre Körpermitte hin gerichtet,

die dunkel sich zusammenzieht, so sehr,

 

daß jede widerstrebende Bewegung,

je stärker, sich nur um so mehr erliegt.

Das Licht träuft von ihr und verrät die Regung,

die ihre Adern und Gelenke biegt,

 

wehrt sie die Umwelt ab. Mit flacher Hand,

daß sie die den Kopf in ihrem Arm verbirgt,

noch immer lauscht, und schaut, in sich gekehrt

 

und hat dies namenlose schon erkannt,

das dort heranreift, in ihr wächst und wirkt,

selbst noch nicht wissend, aber unversehrt.

 

 

 

 

 

 

 

ZaunköniG                       Wander Bertoni

* 1972                                             Metallskulptur im Stuttgarter Schlosspark

© beim Autor                                     

 

So greife um dich, steige auf und wachse,
wie diese Linie sich angeschickt
zu wachsen, unversehens in sich blickt
und kreist um eine unsichtbare Achse.

Dort wo die grade Linie plötzlich knickt,
für jeden greifbar aufscheint ihre Schwäche,
wächst sie um neue Dimensionen: Fläche -
und schließlich Raum. Mit sich im Reinen nickt

die Linie sich selber zu und liebt
den Punkt, den sie nicht kennt, und doch umkreist.
Die Kraft, die jedem seine Richtung weist,
bleibt uns so wenig fassbar wie der Tanz;
doch schafft das Unbegreifliche Substanz,
fragt niemand, ob es diese Achse gibt.

 

 

 

 

 

 

ZaunköniG                           Ach würd ich nur dement...

* 1972                                                    frei nach Shakespears 66. Sonett

© beim Autor                                     

Ach würd ich nur dement, entkäm der Öde!
Das Fernsehvolk liebt freien Sex und Tote,
hält sich für aufgeklärt und ist so blöde.
Wie je macht Brot und Spiele beste Quote.

Von schnellen Schnitten wird das Auge süchtig
und Prominenz über den Geist diktiert.
Man feiert als berühmt, wer nur berüchtigt
und sich mit allzu grellem Flitter ziert.

Und Wahrheit dem Spektakel unterliegt
und jeder feilen geilen Nabelschau,
der Schnappschuss über die Recherche siegt
und Anstand nur als alt gilt, blass und grau.

Ach gerne würd ich von der Glotze lassen,
doch fürchte ich, ich könnte was verpassen.

                               

 

 

ZaunköniG                           Alexander Dettmar

* 1972                                                    Steine und Spuren: Speyer

© beim Autor

Geduckt stehn beieinander Haus an Haus,

der Lehmschlag von Jahrhunderten durchdrungen;

und als der letze Stundenschlag verklungen,

atmen sie durch alle Poren aus.

 

Wie sich die Mauern ineinander fügen,

von einem Segenshimmel überstrahlt,

der ihre Schatten etwas wärmer malt,

verbindet Stein und Stein ein Selbstgenügen,

 

das diese Häuser mit der Erde eint.

Wer jemals hier vorüber ging erkennt

die Straße wie ein altes Sediment,

das nichts mehr werden will und nichts verneint, -

 

haucht ihm die eigene Geschichte ein,

daß sie zur Ruhe kommt im großen Sein.

 

 

 

 

ZaunköniG                           Blomquists

* 1972

© beim Autor

1: Das älteste Gewerbe der Welt

 

Gut spekulieren läßt es sich am Tresen,
wenn man die Nase tief ins Weinglas steckt.
So ist ist auch bei Arzt und Architekt
und einem Informatiker gewesen,

als man in trauter Runde einst erwog
aufs Alter ihrer drei Gewerk zu tippen.
"Als Gott das Weib erschuf aus Adams Rippe,
war er durch diese Tag auch ein Chirurg!"

begann der Arzt. - Der Architekt sagt: "Schaut: -
Gott hat doch, als er Land und Wasser schied,
wie man genauso in der Bibel sieht,
die Welt aus reinstem Chaos aufgebaut!"

Doch kommt postwendend schon der Zwischenruf:
"Was glaubt ihr beiden, wer das Chaos schuf?"

 

 

 

 

2: Ein neuer Pfarrer in Friesland

 

Mit Jägern macht er sich zuerst bekannt. -
Ein Schuß: Das erste Rebhuhn fällt ins Meer.
Mit "Danket Christ" läuft Matthies hinterher
und kommt mit trocknem Fuß zurück an Land.

Auch Enno trifft, steht auf mit "Gott zum Gruß"
empfängt den Lohn für stundenlanges Hoffen,
läuft los und kommt zurück mit trocknem Fuß.
Zuetzt hat auch der Geistliche getroffen:

Der Pfarrer läuft hinaus aufs Meer sodann.
Er ruft: "In Deine Hand befehl ich mich!"
und kommt quatschnass zurück an Land gestiegen.

Betreten sehen sich die Jäger an:
"Sein Glaube ist ja unerschütterlich,
doch sollt' er schauen wo die Steine liegen.

 

 

 

 

 

ZaunköniG                           Der Rote Junker

* 1972

© beim Autor

Hier, sagt man also, hat der rote Junker
sein Grab gefunden. Nur ein Ammenmärchen,
das älter ist als dieser Luftschutzbunker.
Aus Mauerrissen wachsen Birken, Lärchen;

Vor Blut- und Weißdorn feixen schwarze Pärchen
in schweren Mänteln und Kajal. Sie flunkern:
Von schwarzen Messen, Zombies, Silberhärchen,
und von Elise, ihren schweren Klunkern

für die der Junker mordete und starb...
Wie herrlich grausig die Scharniere knarren!
Wo einst bei Vollmond Blut und Wolfsmilch floss,
wo noch sein Geist um ihre Seele warb,
kann man erschauernd ins Gewölbe starren!
und irgendwo
                            fällt eine Tür ins Schloss...

 

 

 

 

 

 

 

ZaunköniG                           Jack O’Lantern

* 1972

© beim Autor

Komm Jack, dir ist ein eigner Ort verheißen,
nach einer Jahresspanne Nachtdurchwandeln.
Zum elften Vollmond laß mit Dir verhandeln:
Dein Blick soll durch die Dunkelheiten gleißen!

Den Golem will ich Dir vom Kürbis machen,
der Dir für eine angesetzte Frist
ein neuer Leib und neue Heimat ist.
Als Lohn sollst Du mir Haus und Hof bewachen,

denn keine Seele soll durch Tür und Fenster
heut Nacht, beim bunten Treiben der Gespenster.
Ich stell Dir Leib und Flamme, die es braucht,

um Dir für Reue Gnade zu erhoffen.
Nur diese Nacht steht Dir die Chance offen:
Zum Morgen ist Dein Lichtlein aufgeraucht.

 

 

 

 

 

ZaunköniG                                                               Vincent van Gogh

* 1972                                                                                                   Der Schnitter

© beim Autor

 

So wie erst kurz vorm Niedergang der Tage

die Sonne lax den Himmel übergießt

mit ihrem Gold, so unbedingt zerfließt

der Weizen Halm für Halm zum Lichtmeer, vage

die Linie wo sich die Ähren brechen.

Mit Gleichmut sinken Reih um Reihe hin;

Es liegt fast etwas Tröstliches darin,

kommt man so auf des Schnitters Werk zu sprechen,

auf seine schwere aber frohe Mahd,

die Ganz Bewegung ist, und Kraft, und Tat, -

Ein goldnes Handwerk, das im Überschwang

entgegen nimmt das volle Korn der Welt.

 

          Solange Frucht noch neue Saat enthält,

          folgt Blütezeit und Reife Erntedank.

 

 

 

 

ZaunköniG                                                               Vincent van Gogh

* 1972                                                                                                   Sternennacht

© beim Autor

 

 


Ein ungestümer tiefer Himmelstrank

durchatmet frisch den Nord. - Den Wind zu zügeln

verbergen sich die Häuser hinter Hügeln;

nur eine Kirchturmspitze, spitz und schlank

 

ertastet sich das All, hat Teil am hohen

Gesang, der aus den ersten Sphären klingt.

Doch noch lebendigerer Nachhall schwingt:

Im Vordergrund steigt die Zypressenlohe;

 

Sie überragt wie eine Kathedrale

das Kirchspiel, das verschlafen liegt im Tal.

Darüber sich die Himmelsscharen jagen;

Ein Sternentaumel, der dort kreisst und kreisst.

Ein Mond mit aufgeräumten Höfen leis,

hält sich dem heimeligen Dorf die Waage.

 

 

 

 

 

ZaunköniG                                                               Vincent van Gogh

* 1972                                                                                                   Landschaft bei Saint Remy

© beim Autor

 


Die blauen Schatten: Ruhig treiben sie

die Hügel auf und ab. Am Himmel bauscht

sich eine Wolke und das Grasmeer rauscht

im leichten Wellenspiel vor Saint Rémy.

 

Die Sonnenflecken treiben übers Feld

wie auf der Flucht. Berg, Wiese, Himmel haben

bei van Gogh nur eine Handvoll Farben.

Noch weiß man nicht, wie lang das Wetter hält;

 

gesättigt legt sich schon das fette Grün,

verstreute Hütten schniegen sich in das

Gefälle. In die Sommerfrische schlich

sich eine Ahnung; Eine Brise, feucht,

liegt auf der Wiese, die die Halme scheucht,

an weichen Hängen aufwärts, Strich an Strich.

 

 

 

 

 

 

 

ZaunköniG                                                               Vincent van Gogh

* 1972                                                                                                   Caféterasse in Arles

© beim Autor

 

Wo die Geschäftigkeit des Tages wich

verlischt nun Licht um Licht. Mit den Flaneuren

zerstreuen sich die Abendstunden, hören

die Uhr'n zu ticken auf. Hier vorne, dicht

geschmiegt in die Markise gleißt ein Licht,

wie eine Weisung ins gelobte Land.

Die Stühle steh'n der Straße zugewandt

und laden ein: Sei Gast und labe Dich

an leichtem Pyrenäenwein und Brie.

Und wenn es Limonade wäre,

wär's auch egal. Es zählt die Atmosphäre.

 

Gern zahlt man für ein Lächeln seinen Zehnt,

wo sich Behagen in die Nachtluft dehnt.

Da schwimmt ein Leuchten durch die Himmel,

      Sieh!